[Jahreskreisfest] Jul – Ende und Anfang in einer Nacht

Jul – Die Wiederkehr des Lichts

21. Dezember 

Wenn die Nächte am tiefsten sind und das Land unter dem Mantel des Winters ruht, spüre ich, wie die Dunkelheit alles in sich aufnimmt. Sie fließt durch die Orte, legt sich auf die Zweige und erinnert mich daran, dass selbst in der längsten Nacht das Licht nicht stirbt – es ruht nur. Jul ist für mich nicht nur ein Datum im Kalender, sondern ein Herzschlag im Kreislauf der Erde. Ein stiller Moment, in dem das Alte weicht und das Neue zu flackern beginnt – wie eine Kerze, die sich selbst entzündet.

 

Ursprung und Bedeutung

Jul, das Fest der Wintersonnenwende, wurzelt tief in den nordischen und germanischen Traditionen.

Lange bevor das Christentum den Dezember mit seiner eigenen Symbolik füllte, feierten die Menschen die Wiedergeburt des Lichts – den Moment, in dem die Sonne ihren tiefsten Punkt erreicht und langsam zurückkehrt. Das Wort „Jul“ stammt vermutlich aus dem Altnordischen „hjól“, was „Rad“ bedeutet – ein Sinnbild für das Rad des Jahres, das sich endlos weiterdreht.

In Skandinavien war Jul eine Zeit der Hoffnung: Die Feuer brannten, um das Sonnenlicht zu rufen, Speisen wurden geteilt, und man ehrte Ahnen und Naturgeister gleichermaßen. Später wurde vieles davon im christlichen Weihnachtsfest integriert – die Kerzen, das Immergrün, das Licht im Dunkeln. Doch die Wurzeln reichen tiefer, dorthin, wo Menschen noch wussten, dass Licht und Dunkelheit einander bedingen, dass Leben immer wiederkehrt, wenn man ihm Raum lässt.

 

Der Julleuchter – Symbol des Lichts

In meiner Familie steht zur Julzeit ein Leuchter im Mittelpunkt des Kranzes – ein schlichtes, erdverbundenes Gefäß, das wir Julleuchter nennen. Vier Kerzen außen begleiten die Wochen im Advent bis zur Sonnenwende. An Jul selbst erlöschen sie – eine nach der anderen – bis nur noch die Dunkelheit bleibt.

Dann entzünden wir eine neue Flamme auf dem Leuchter, und das Licht kehrt zurück. Dieses Ritual erinnert mich jedes Jahr daran, dass wir nicht gegen die Dunkelheit kämpfen müssen – wir dürfen sie einfach durchleben, um ihr Licht zu entlocken.

Doch es ist mir wichtig, auch Folgendes zu erwähnen:

Der Julleuchter wurde im 20. Jahrhundert durch das NS-Regime missbraucht und als „germanisches Weihnachtssymbol“ ideologisch entstellt. Das ist leider ein dunkles Kapitel, das viele dieser Symbole belastet hat.

Ich aber verwende den Leuchter bewusst in seiner ursprünglichen Bedeutung – als Zeichen des Lebens, nicht der Ideologie. Er ist ein Licht der Wiederkehr, frei von politischer Deutung, verwurzelt in der Natur, im Wandel, im Rad des Jahres. Ich sehe es als meine Verantwortung, dieses alte Symbol zu reinigen durch Wissen, Bewusstsein und Haltung.

 

Rituale zu Jul

Jul ist die Zeit, in der Feuer und Stille gleichermaßen sprechen dürfen.

Hier einige Bräuche, die ich in meiner Arbeit und in meiner Familie lebe:

  • 🔥 Das Julfeuer: Ein Holzscheit – oft Eiche oder Birke – wird im Ofen oder draußen im Feuerkorb entzündet. Manchmal werden darin getrocknete Kräuter verbrannt: Wacholder für Reinigung, Mistel für Schutz, Fichtennadeln für Neubeginn. Wir entzünden oft ein Feuer in der Feuerschale im Garten und verbrennen tatsächlich den Julkranz, der uns im Advent den Raum dekoriert hat. Das Feuer bekommt dann in diesem Moment einen wirklich hellen schein – durch die vielen ätherischen Öle im trockenen Immergrün. 
  • 🌲 Der Kranz: Immergrün – etwa Tanne, Eibe oder Buchs – steht für Beständigkeit. Verziert mit getrockneten Orangenscheiben, Apfelscheiben, Zimtstangen und roten Bändern symbolisiert er Wärme, Leben und Kreislauf. Bei uns daheim steht der Julleuchter in seiner Mitte (siehe Fotos)
  • ✨ Räucherungen: Besonders kraftvoll sind Mischungen aus Fichte, Myrrhe, Beifuß und Johanniskraut. Sie öffnen Herz und Atem, klären Räume und Gedanken. An Jul feiern wir zudem die erste Raunacht und räuchern.(Hier kannst du dir eine Grundmischung dazu anschauen.)
  • 🕯️ Lichtmeditation: In der längsten Nacht setze ich mich ans Fenster, betrachte die Dunkelheit und zünde ein Licht an – für alles, was gehen darf, und alles, was wachsen will. Auch zünde ich im Fenster ein Licht für meine Ahnen an. 
  • 🎁 Julklapp: Ein alter skandinavischer Brauch, bei dem kleine Geschenke heimlich überbracht werden – manchmal mit Reim, manchmal mit einem kleinen Schabernack. Es geht nicht um Wert, sondern um Freude, Überraschung und das Teilen von Licht. Auch wir haben den Julklapp (wir sagen Julsack bei uns daheim) in den wir im Advent alle Geschenke für einander sammeln. An Jul wird der Sack hervorgeholt und wir zelebrieren die Bescherung. Kein „auf den Baum drauf los jagen und die Geschenke darunter wild plündern, ohne auf die anderen um einen herum zu achten“ wir packen alles nacheinander aus und erfreuen uns an der Freude des Beschenkten oder der Beschenkten. 
  • 🐐 Der Julbock: In Schweden und Finnland steht er symbolisch für Fruchtbarkeit, Schutz und die Kraft der Sonne. Aus Stroh gebunden, trägt er die Erinnerung an den Sonnengott, der das Licht wiederbringt – und mahnt, dass Stärke auch Sanftmut kennt.

 

Speisen und Düfte der Sonnenwende

Jul war immer auch ein Fest der Fülle nach der Erntezeit. In alten Quellen finden sich Rezepte für Honiggebäck, Gewürzbrote und warme Getränke mit Met oder Apfelwein.

Ein einfaches, aber kraftvolles Ritual:

Backe ein Brot mit Zimt, Nelke und Orange – drei Gewürze, die das Herz erwärmen und die Sonne rufen. Stelle das erste Stück ins Fenster, als Gabe an die Naturgeister oder Ahnen. Der Duft allein erinnert uns daran, dass Licht Nahrung ist – und Nahrung Licht.

Ich backe zu Jul immer ein Julbrot aus gesüßtem Hefeteig mit einer honigsüßen Nussfüllung und forme es auf dem Backblech zu einem Kranz. Ein Stück des Brotes stellen wir auf die Fensterbank – zusammen mit einer Kerze. 

 

Parallelen zum Christentum

Vieles, was wir heute als „Weihnachten“ kennen, trägt Spuren von Jul:

  • Die Geburt des göttlichen Kindes entspricht symbolisch der Wiedergeburt des Sonnenlichts.
  • Der geschmückte Baum – einst ein Lebensbaum oder eine grüne Hoffnung in der Kälte – wurde zum Weihnachtsbaum.
  • Das Licht in der Dunkelheit, die Gemeinschaft, das Teilen von Speisen – alles sind uralte heidnische Gesten der Dankbarkeit und des Neubeginns.

Jul und Weihnachten sind also keine Gegensätze, sondern nur zwei Sprachen derselben Sehnsucht: nämlich die nach Licht, Wärme und Sinn im Dunkel.

 

Wo Jul heute noch gefeiert wird

In Skandinavien, Island und in Teilen der baltischen Länder lebt Jul als Yule oder Jól bis heute fort – oft in Mischform mit christlichen Festen. Auch in modernen heidnischen, neuheidnischen oder naturspirituellen Gemeinschaften wird Jul weltweit gefeiert: mit Feuern, Liedern, Runen, Ritualen und viel Licht – wie auch in meiner Familie.

Doch unabhängig von Religion oder Tradition – die Sonnenwende gehört uns allen. Sie ist kein Glaubensbekenntnis, sondern eine Einladung, sich an den Rhythmus der Natur zu erinnern.

 

Mein Abschlussgedanke – Das Licht in uns

Wenn die Kerze auf meinem Julleuchter brennt, weiß ich:

Das Licht, das ich entzünde, war nie wirklich fort. Es hat nur gewartet – still, geduldig, verborgen. Jul lehrt mich jedes Jahr aufs Neue, dass Wachstum nicht laut sein muss, dass Wandel im Stillen geschieht, und dass selbst das kleinste Flackern ein ganzes Jahr tragen kann.

„So kehrt das Licht zurück, nicht als Sieg, sondern als Versprechen.“

 

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